Lars Eichhorst - Energy Solutions

Die beschleunigte Dekarbonisierung des Energiesystems ist eine dringende Notwendigkeit, um die Folgen des Klimawandels zu begrenzen. Erforderliche Maßnahmen ergeben sich auf verschiedenen Stufen der Energie-Wertschöpfungskette. Die Herausforderungen für das Stromübertragungsnetz als das Rückgrat des Energiesystems und Bindeglied zwischen Regionen sind insbesondere die Elektrifizierung der Verbrauchssektoren, die Integration erneuerbarer Energien und die damit verbundene Notwendigkeit, neue Flexibilitäten zu erschließen.

Daher sind leistungsfähige Planungsinstrumente erforderlich, um konsistente Dekarbonisierungspfade zu analysieren, die sektoren- und energieträgerübergreifende Wechselwirkungen im europäischen Verbundsystem mit hoher zeitlicher und räumlicher Auflösung berücksichtigen.

In einer Zusammenarbeit zwischen den Übertragungsnetzbetreibern TransnetBW und Austrian Power Grid (APG) wird ein umfangreiches europäisches Energiesystemmodell (ESM) als Planungswerkzeug entwickelt und in verschiedenen Studien sowie innovativen Stakeholder-Prozessen genutzt.

Was ist ein Energiesystemmodell und wie funktioniert es?

Das Energiesystemmodell (ESM), das von TransnetBW und APG auf Basis von PyPSA-Eur (Open-Source) verwendet und kontinuierlich weiterentwickelt wird, repräsentiert das gesamte Energiesystem. Es berücksichtigt alle Energieträger – Strom, Gase, Wärme, Biomasse, Flüssigkraftstoffe – sowie alle Verbrauchssektoren – Industrie, Verkehr, Haushalte, Dienstleistungen – und deren Emissionen. Dies ermöglicht es, die Effekte der Sektorenkopplung entlang der gesamten Wertschöpfungskette im Modell zu integrieren. Eine Abbildung veranschaulicht beispielhaft die Darstellung eines Energiesystems mittels des ESMs.

Die Gesamtsystemkosten werden als Zielfunktion minimiert, wobei eine Reihe von Nebenbedingungen – wie die Einhaltung von Emissionsreduktionszielen und die zeitliche Bilanzierung von Produktion und Verbrauch – beachtet werden.

Das ESM ermöglicht die Simulation konsistenter Gesamtsystem-Szenarien und die Analyse der Auswirkungen exogener Einflüsse, wie politischer oder regulatorischer Rahmenbedingungen oder technologischer Entwicklungen. Die Ergebnisse des ESMs sind stets für alle modellierten Regionen verfügbar, mit hoher zeitlicher Auflösung und für alle berechneten Stützjahre bis 2050. Für Übertragungsnetzbetreiber ist insbesondere die explizite Darstellung des Bedarfs an Stromtransportkorridoren zwischen den modellierten Regionen von essenzieller Bedeutung.

Exemplarische Ergebnisse aus dem Energiesystemmodell. 

TransnetBW GmbH

Exemplarische Ergebnisse aus dem Energiesystemmodell. 

Warum benutzen Übertragungsnetzbetreiber wie TransnetBW und APG ein Energiesystemmodell?

In Deutschland und Österreich sind die Betreiber der Stromnetze gesetzlich dazu verpflichtet, das Netzwerk nicht nur stabil zu halten, sondern es auch entsprechend dem Bedarf weiterzuentwickeln. Dies setzt ein umfassendes Verständnis des Energiesystems und der komplexen Interaktionen zwischen verschiedenen Sektoren und Energiequellen voraus, sowie ein Bewusstsein dafür, wie Unsicherheiten die Energiesysteme beeinflussen können.

Energiesystemmodelle sind für Übertragungsnetzbetreiber entscheidende Planungswerkzeuge, die es ermöglichen, informierte Entscheidungen für die langfristige Entwicklung des Netzes zu treffen – eine Entwicklung, die hohe Investitionen in dauerhafte Anlagen erfordert. Diese Modelle bieten eine ganzheitliche Sicht auf das europäische Energiesystem und ermöglichen detaillierte Analysen mit nationalem Schwerpunkt, um europäische und sektorübergreifende Einflüsse optimal in die eigenen Netzplanungsprozesse zu integrieren.

Beispiele für solche Analysen sind die Studien, die TransnetBW bisher mit ESM durchgeführt hat. TransnetBW veröffentlichte im Jahr 2020 die Studie “Stromnetz 2050” und im Jahr 2022 die Studie “Energy System 2050”. Diese Untersuchungen haben ein bedarfsgerechtes Netzwerk identifiziert, das verschiedene Entwicklungspfade des europäischen Energiesystems berücksichtigt. Solche Studien ermöglichen auch eine verbesserte Analyse und Validierung europäischer Planungsprozesse, wie beispielsweise die des Verbands der europäischen Übertragungsnetzbetreiber Entso-E. Derzeit führt TransnetBW ihre dritte und bisher umfangreichste Studie “Adequacy 2050” zum Thema der europäischen Versorgungssicherheit für das Jahr 2050 durch, wobei das ESM als ein zentrales Element der Studientoolkette eingesetzt wird.

Wie sieht die Zusammenarbeit zwischen APG und TransnetBW bei diesem Thema aus?

APG und TransnetBW nutzen Synergieeffekte durch Wissenstransfer und Aufgabenteilung und arbeiten eng bei der Weiterentwicklung des ESMs zusammen. Diese methodische Kooperation am gleichen Modellcode führt zur effizienten Integration von nationalem Know-How, was die Qualität und Aussagekraft des europäischen Modells erheblich verbessert. Die Zusammenarbeit ist geprägt von regelmäßigen fachlichen Austauschen sowie gemeinsamen öffentlichen Auftritten und Publikationen. Die gemeinsame Entwicklung dieses wichtigen Planungswerkzeugs stärkt den europäischen Zusammenhalt und skaliert den Mehrwert für die beteiligten Partner.

Was beinhaltet das APG-Projekt „ZusammEn2040“?

Die Initiative “ZusammEn2040” nutzt das ESM von APG in einem öffentlichen Verfahren, um mit Experten verschiedener Interessengruppen einen branchenübergreifenden Dialog zu führen und quantitative Energiesystemvisionen aus verschiedenen Perspektiven zu entwickeln. Ziel der Initiative ist es, die Datenqualität des Modells (im Kontext der Sektorenkopplung) zu verbessern und Transparenz sowie Vertrauen in den modellgestützten Ansatz zu stärken. Das ESM und der “ZusammEn2040”-Prozess sollen als Grundlage für strategische Netzplanungsprozesse dienen.

Die Einbindung des Stakeholder-Prozesses von ZusammEn2040 in die APG-Prozesse

TransnetBW GmbH

Im Rahmen der Initiative “ZusammEn2040” wurde eine interaktive Schnittstelle für Stakeholder in die APG-Prozesse integriert. Diese ermöglicht eine effiziente Dateneingabe und Ergebnisauswertung. Stakeholder-Vertreter werden vom APG-Expertenteam unterstützt und haben die Möglichkeit, eigene Visionen für Energiesysteme auf der Website www.zusammen2040.at zu veröffentlichen. “ZusammEn2040” zielt darauf ab, eine Best-Practice für die Gesamtinterpretation von Energiesystemen zu etablieren, Visionen direkt abzuleiten und die Vernetzung unter den Stakeholdern zu stärken.

 Quellen: EE