Lars Eichhorst - Energy Solutions

Erstmals haben sich die G7-Mitgliedsstaaten auf einen gemeinsamen Fahrplan zum Ausstieg aus der Kohlekraftnutzung geeinigt. In einer am Dienstag in Turin verfassten Abschlusserklärung der Umwelt-, Klimaschutz- und Energieminister bestimmen die sieben G7-Länder, dass sie bis Ende 2035 prinzipiell die Kohlekraftnutzung auf Null herunterfahren müssen. Der Ausstieg solle noch „während der ersten Hälfte der 2030-er Jahre“ erfolgen. Das für Klimaschutz und Energiepolitik zuständige Bundeswirtschafts- und das Bundesumweltministerium werteten die Einigung als „wesentlicher Meilenstein zur Abkehr von den fossilen Energieträgern weltweit“. Das Communique der G7-Minister enthält außerdem gemeinsame Positionierungen zum Artenschutz und gegen die weltweite Vermüllung durch Plastikabfälle. So wollen sich die Länder beispielsweise auch für eine Reduzierung von Plastikproduktion und Plastikkonsum einsetzen.

Allerdings ist die Erklärung auf den zweiten Blick nicht ganz so eindeutig, wie es die hohe Wertung der deutschen Ministerien als Meilenstein-Vereinbarung nahelegt. Denn die Formulierung besagt konkret, dass die je nach Übersetzung „ungebrochene“ oder „unverminderte“ Kohlestromerzeugung bis Mitte der 2030-er Jahre in allen sieben Ländern der G7-Gruppe enden müsse. Dies lässt nach Überzeugung internationaler Beobachter einen Interpretationsspielraum dafür, dass eine im Communique zusätzlich als Klimaschutz empfohlene Entnahme von Kohlenstoff (Carbon – chemisches Kürzel: C) aus dem den Schornsteinen entweichenden Treibhausgas Kohlendioxid (CO2) und die anschließende unterirdische Einlagerung des abgeschiedenen Carbons die Kohlekraft auch noch nach 2035 nutzen lässt. Der englische Originaltext benutzt dafür das Wort „unabated“.

Die Erklärung der sieben Länder öffnet eine Hintertür für den Kohleausstieg bis 2035, indem sie eine Alternative aufzeigt.

Demnach dürfen Länder die Kohleverstromung so lange fortsetzen, wie sie mit ihren Klimaschutzmaßnahmen das globale Ziel der Begrenzung der Erderwärmung auf 1,5 Grad Celsius erfüllen. Die G7-Länder könnten sich an die Vereinbarung zur Kohlekraft halten, auch ohne den Kohleausstieg, wenn die Reduzierung ihrer CO2-Emissionen durch andere Maßnahmen dem national notwendigen Beitrag zum 1,5-Grad-Ziel des Pariser Klimaabkommens von 2015 entspricht.

Zudem ist der Kohlekraft-Ausstieg gemäß der jetzigen G7-Erklärung nicht mit einem Bekenntnis zur Energiewende zu verwechseln: Ausdrücklich hebt das Papier die Kernenergie als Technik hervor, mit der sich die Kohlekraft künftig treibhausgasfrei ersetzen lässt. Die Erklärung hebt als Einschränkung einzig hervor, dass die Kernkraft als Instrument für die Länder gilt, die bisher schon Kernenergie nutzen, und dass die radioaktiven Rohstoffe für die Brennstäbe der Reaktoren nicht mehr wie aktuell noch häufig aus Russland kommen dürfen.

Zu den G7-Ländern gehören die USA, Kanada, Japan, Deutschland, Italien, Frankreich und Großbritannien. Außerdem ist die Europäische Union (EU) mit einem Beobachterstatus an den Treffen beteiligt. Interessant in Bezug auf die Kohlekrafterklärung ist an dieser Zusammensetzung, dass nur drei der Länder, nämlich allen voran Japan, dahinter Deutschland und dann noch die USA mit größeren Anteilen die Kohlekraft zur Stromversorgung nutzen. Japan und Kanada mit jeweils nur rund fünf Prozent sowie Großbritannien und Frankreich dank vor allem der Kernenergie mit unter zwei und sogar unter einem Prozent müssen kaum noch aus der Kohlekraft aussteigen.

Ein Vergleich der Bemühungen der G7-Länder in der Energiewende zeigt, dass trotz einer gemeinsamen Erklärung zur Kohleenergie bisher wenig auf eine umfassende Bewegung hin zu einem radikalen Umbau für eine nachhaltige Energieversorgung schließen lässt. In den USA ist der jährliche Zuwachs an Windenergie in den letzten zwei Jahren sogar auf 6,4 Gigawatt gesunken, was nicht allein auf die üblichen Konjunkturschwankungen der Windkraft in den Vereinigten Staaten zurückzuführen ist. Auch in Frankreich und Großbritannien hat sich der Ausbau der Windenergie im Vergleich zum Vorjahr verlangsamt und erreicht auf europäischer Ebene ein nur mäßiges Niveau von unter zwei GW. In Italien stagniert der Ausbau seit drei Jahren bei etwa 500 Megawatt – einem halben GW, während Japan nach einem Jahr ohne neue Windkraftanlagen 2022 nun auf 630 MW neue Windenergie an Land zurückgekehrt ist, was nur knapp über dem italienischen Wert liegt. Lediglich in Kanada, mit einem immer noch gemäß der Landesgröße bescheidenen 1,7 GW, und in Deutschland, mit nun wieder 3,8 GW, ist ein Aufwärtstrend bei der Windkraft zu verzeichnen. Der Ausbau der Solarenergie in den USA endete zwar mit einem Plus von 10 Gigawatt im Vergleich zum Rekordjahr 2021 bei 33 GW, doch gleicht dieser Gewinn nur den Rückgang des US-Windmarktes um 10,5 Gigawatt im Vergleich zu dessen Rekordjahr 2020 mit 16 GW aus. Deutschland hat den Solarzubau mit einer Verdoppelung auf 14 GW stark gesteigert, ebenso Italien mit einer Verdoppelung auf über 5 GW.

Trotz ihrer Schwachstellen beinhaltet die Kohleausstiegserklärung der G7-Minister von Dienstag einen möglicherweise bedeutsamen Fortschritt beim Abschalten klimaschädlicher Kraftwerke. Während Japan bislang keinen Ausstieg aus der Kohlekraft festgelegt hatte, steht in Deutschland noch das Jahr 2038 als spätestes Abschaltdatum. Das Gesetz formuliert bisher nur indirekt, dass eine Verlegung des letzten Kohlestromerzeugungstermins auf etwa 2030 angestrebt werden soll.

Quelle: ErneuerbareEnergien