Smart vernetzt kann nur sein, wer einen intelligenten Zähler hat. Doch der Smart-Meter-Rollout lässt in Deutschland auf sich warten.
Smart Grids sind entscheidend für die Energiewende. Trotz gesetzlicher Empfehlungen zur Automatisierung aller Niederspannungsnetze, was als “budgetary present” bezeichnet wird, stagniert das Wachstum in Deutschland. Das Land hinkt immer noch hinterher, wenn es um eine transparente Darstellung des Stromnetzes im Vergleich zu anderen europäischen Nationen geht, selbst nachdem sich laut Bundesnetzagentur die Zahl der intelligenten Messgeräte im Jahr 2022 verdoppelt hat. Vor allem in skandinavischen Ländern existieren umfangreiche Daten über die Netze in Echtzeit-Datenbanken, die eine aktive Netzsteuerung ermöglichen.
Carlo Lazar, ein Smart Grid Experte bei Aidon, einem finnischen Ingenieurbüro, das auf intelligente Netz- und Messlösungen sowie Dienstleistungen in den nordischen Ländern spezialisiert ist, erläutert, was dieser Rückstand bedeutet und wie Deutschland aufholen kann. Das Unternehmen, gegründet im Jahr 2004, hat seinen Hauptsitz in Jyväskylä, Finnland, und unterhält Niederlassungen in Finnland, Schweden und Norwegen.
Wie beeinflussen oder hemmen politische Faktoren die Entwicklung von Smart Grids?
Carlo Lazar: Politische Rahmenbedingungen können sowohl die Entwicklung intelligenter Netze fördern als auch hemmen. Sie unterstützen den Einsatz intelligenter Messsysteme und bieten Anreize für Innovationen in den Bereichen erneuerbare Energien und Energieeffizienz. Gleichzeitig kann eine Überregulierung jedoch auch Barrieren errichten. Beispielsweise hat das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnologie (BSI) strengere technische Standards für intelligente Messsysteme entwickelt als die meisten anderen Länder, was den Prozess verlangsamt.
Die schleppende Expansion des Smart Grids und die damit verbundene dringende Notwendigkeit für Netzbetreiber, Lasten effektiv zu steuern und die Netzstabilität zu gewährleisten, werden durch diese langsame Entwicklung beeinträchtigt. Es ist daher von entscheidender Bedeutung, einen ausgewogenen Ansatz zu verfolgen, der sowohl Innovation als auch Sicherheit in regulatorischen Belangen fördert.
Wie viel unterscheiden sich die Märkte in skandinavischen Ländern von denen in Deutschland?
Carlo Lazar: Die skandinavischen Länder sind aufgrund ihres Wachstums im Bereich Smart Metering Deutschland voraus. In Skandinavien sind bereits in fast allen Haushalten intelligente Stromzähler installiert. Die zweite Generation dieser Zähler ist schon in Finnland und Schweden im Einsatz, was eine detaillierte Visualisierung des Energieverbrauchs und automatisierte Abrechnungen ermöglicht. Im Gegensatz dazu waren bis 2021 in Deutschland nur etwa 160.000 von über 50 Millionen Messpunkten mit intelligenten Messsystemen ausgestattet. Diese Zahlen verdeutlichen, wie weit Deutschland hinter Skandinavien zurückliegt, wo die Digitalisierung der Stromnetze viel weiter fortgeschritten ist. Deutsche Netzbetreiber arbeiten noch an der umfassenden Einführung dieser Technologien, während skandinavische Netzbetreiber bereits Echtzeitdaten und fortschrittliche Lastmanagement-Systeme nutzen, um die Netzstabilität zu sichern.
Eine kurzfristige Verbesserung ist jedoch nicht in Sicht: Sollte die Expansion in der gleichen Geschwindigkeit fortschreiten, würde es zehn Jahre dauern, bis die Netzbetreiber in der Lage wären, Echtzeit-Messwerte zu erfassen. Dies ist notwendig, um die aktuelle Netzwerkauslastung zu überwachen und gezielte Maßnahmen ergreifen zu können. Es gibt jedoch Wege, dies schneller zu erreichen. Lokale Netzbetreiber müssten in zusätzliche Technologien investieren und ihre lokalen Netzwerkstationen digitalisieren, was durch das neue Gesetz 14a gefördert wird.
Wie können wir die Märkte vergleichen?
Carlo Lazar: Die Herausforderungen und Fortschritte in den Märkten Skandinaviens und Deutschlands lassen sich gut vergleichen. Beide Regionen stehen vor der Aufgabe, ihre Netze an eine zunehmende Anzahl dezentraler und volatiler Energiequellen anzupassen. Skandinavien setzt jedoch in großem Umfang auf Wasserkraft, was eine stabilere Energieversorgung gewährleistet, während Deutschland in stärkerem Maße auf Windkraft und Photovoltaik angewiesen ist, was zu größeren Schwankungen in der Energieerzeugung führt. In Skandinavien wurde die Einführung von Smart Metern bereits 2003 begonnen, und mittlerweile sind fast alle Haushalte damit ausgestattet. In Deutschland hingegen verläuft die Einführung deutlich langsamer, was sich in der geringen Anzahl installierter Smart Meter widerspiegelt. Diese Entwicklungen beeinflussen die Zuverlässigkeit und Effizienz des Netzbetriebs in beiden Regionen erheblich.
Wo könnte Deutschland von den Märkten in Skandinavien lernen?
Carlo Lazar: Deutschland kann in vielerlei Hinsicht von den skandinavischen Märkten lernen. Der weitreichende Einsatz von Smart Metern in Skandinavien verdeutlicht die Bedeutung einer umfassenden Implementierung dieser Technologie für die Netzstabilität. Skandinavische Netzbetreiber nutzen Echtzeitdaten und fortgeschrittene Lastmanagement-Systeme, um die Stabilität zu sichern. Diese Systeme erfassen Lastprofile in 15-Minuten-Intervallen und manche sogar in 5-Minuten-Intervallen pro Phase, was eine genaue Kontrolle ermöglicht. Deutschland könnte von diesen Werkzeugen und Methoden profitieren, um seine Netzstabilität zu erhöhen. Des Weiteren liefert die Erfahrung der Nordländer mit dynamischen Strompreismodellen wertvolle Erkenntnisse darüber, wie Verbraucher dazu angeregt werden können, ihren Energieverbrauch zu senken. Viele skandinavische Verbraucher sind auf Tarifmodelle mit stündlicher Abrechnung umgestiegen, die zu einem effizienteren Energieverbrauch anregen. Diese Tarife motivieren dazu, den Energieverbrauch in Zeiten geringer Preise zu verringern, was die Integration erneuerbarer Energien durch flexible Nachfrageanpassung unterstützen kann. Diese Ansätze könnten auch als Vorbild für Deutschlands Bestrebungen dienen, die Integration erneuerbarer Energien und die Stabilität des Stromnetzes zu verbessern.
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